Wandtexte

„White Wedding. Die Elfenbein-Sammlung Reiner Winkler jetzt im Liebieghaus. Für immer.“
Ab 27. März 2019

Die Sammlung Reiner Winkler
Im Jahr 1962 hat der Kunstsammler Reiner Winkler damit begonnen, eine Privatsammlung von Elfenbeinskulpturen aufzubauen. Auch vereinzelte Werke aus Terrakotta, Koralle und Perlmutt gehören zu diesem Bestand. Der Sammler konzentrierte sich auf Objekte des 17. und 18. Jahrhunderts. 1995 fasste er den Entschluss, seine Kollektion von über 200 Werken dem Liebieghaus im Rahmen einer gemischten Schenkung zu überlassen. Im Sommer 2018 konnte der Vertrag über die Übertragung der Sammlung mit dem Städel Museum unterzeichnet werden. Damit gelangte die weltweit bedeutendste Privatsammlung barocker Elfenbeinskulptur auf Dauer in die Liebieghaus Skulpturensammlung. Deutsche, österreichische, dänische, niederländische, flämische, französische, englische, italienische und spanische Werke sowie zwei Objekte aus Indien und China zeigen die beeindruckende Bandbreite der Sammlung. Dadurch konnte das Liebieghaus seinen Bestand mit Arbeiten der berühmtesten Elfenbein-Bildhauer ergänzen. Darüber hinaus gehören zu den Meisterwerken barocker Elfenbeinschnitzerei auch anonyme Werke, die bisher noch nicht in der Museumssammlung vertreten waren. Dazu gehört als Herzstück die berühmte Die Furie auf sprengendem Pferd. Deren bis heute unbekannter Bildhauer wird »Furienmeister« genannt.

WIR DANKEN DEN FÖRDERERN
Die Liebieghaus Skulpturensammlung dankt den engagierten Förderern für die großzügige Unterstützung bei der Übernahme der Sammlung Reiner Winkler. Dank der Unterstützung durch die Ernst von Siemens Kunststiftung konnte der Ankauf von sieben herausragenden Werken der Sammlung erfolgen. Zudem hat der Städelsche Museumsverein e. V. mit seiner bedeutenden Beteiligung beim Erwerb des Sammlungskonvoluts beigetragen. Ebenso unterstützte die Hessische Kulturstiftung das Städel Museum beim Ankauf, wie auch die Kulturstiftung der Länder, die anteilig die Erwerbung eines der Hauptwerke der Sammlung ermöglicht hat.

Erworben durch die Ernst von Siemens Kunststiftung: Joachim Henne, Die drei Parzen, Inv. St.P 822 / Francis van Bossuit, Merkur, Argus und Io, Inv. St.P 777 / Matthias Steinl, Chronos, Inv. St.P 823 / Ignaz Elhafen, Bacchische Szene, Inv. St.P 850 / Furienmeister, Elias wird von dem Engel geweckt, Inv. St.P 811 / H. W. Schröder, Verherrlichung des Hl. Johannes von Nepomuk, Inv. St.P 737 / Christoph Daniel Schenck, Heiliger Wandel, Inv. St.P 858.
Erworben durch den Städelschen Museums-Verein e. V. und das Städel Museum mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder (Furienmeister, Furie auf sprengendem Pferd, Inv. St.P 808) und der Hessischen Kulturstiftung (Inv. St.P 725 – St.P 736, St.P 738 – St.P 776, St.P 778– St.P 821, St.P 824 – St.P 849, St.P 851 – St.P 857, St.P 859 – St.P 911).

Das Material Elfenbein
Zur Beliebtheit des Elfenbeins im Barock trugen mehrere Faktoren bei: Es war relativ selten und ist bei aller Härte so elastisch, dass es bis in feinste Details virtuos zu bearbeiten war. Zudem erfüllten seine seidige Glätte, der warme, helle Farbton, die feine Äderung und seine Makellosigkeit die höchsten Ansprüche fürstlicher Kunstsammler.
Der Zahn eines ausgewachsenen Elefanten kann bis zu 3 Meter lang werden und bis zu 70 Kilogramm wiegen. Die Spitze ist der älteste Teil des Stoßzahns und bis auf den Nerv massiv. Der hintere Teil dagegen ist hohl. Diese sogenannte Pulpahöhle wurde mit Blutgefäßen und Nerven versorgt und war demnach zum Kiefer hin offen.
Die Präsentation von Kunstobjekten aus Elfenbein veranschaulicht die Faszination dieses Materials und die hohe Qualität seiner künstlerischen Bearbeitung. Aber sie erinnert auch an die Notwendigkeit, sich heute gegen illegalen Elfenbeinhandel und für den internationalen Artenschutz klar zu positionieren.

Elfenbein im 17. und 18. Jahrhundert
Seit der Steinzeit wurden kleine Statuen und Reliefs aus Elfenbein und vergleichbaren Materialien wie etwa Walrosszähnen gefertigt. Das 17. und 18. Jahrhundert war die Blütezeit der Elfenbeinschnitzerei. Elfenbein konnte nicht nur geschnitzt, sondern ebenso wie Holz gedrechselt werden. Das Drechseln von Gefäßen aus dem kostbaren Material Elfenbein wurde zu einem Handwerk, das zur fürstlichen Erziehung gehörte. Diese angesehene Tätigkeit trug umgekehrt zur hohen Wertschätzung des Elfenbeins bei.
Die Sammlungen des Liebieghauses wiesen bisher nur wenige historische Werke aus Elfenbein auf. Durch die Sammlung Reiner Winkler erhalten die Barock- und Rokoko-Abteilungen des Museums einen überaus bedeutsamen Zuwachs, aus dem sich neue Schwerpunkte und Perspektiven eröffnen. So besaß das Haus bislang keine Arbeiten wie die im 17. und 18. Jahrhundert berühmten Kombinationsfiguren aus Elfenbein und Holz, hochrangige Gefäße, oft mit vergoldeten Silbermontagen ausgestattet oder auch bedeutende Porträtstatuetten bzw. Porträtmedaillons.

Elfenbeinhandel
Der Handel mit Elfenbein aus Afrika und Indien als Material für Kunstwerke existierte bereits im Altertum bis ins Mittelalter. Mit der Ausbreitung des Osmanischen Reiches seit dem 15. Jahrhundert war der direkte Zugang zu den bisherigen Handelsrouten versperrt. Die Entdeckung neuer Handelswege führte zur Gründung von Kolonien in Afrika, Indien und Ostasien durch europäische Mächte. Dazu gehörten Portugal, Spanien, die Niederlande, Großbritannien, Frankreich, seit dem 19. Jahrhundert auch Belgien, Deutschland und Italien. Auf die Ressourcen der Kolonien wurde mit erheblicher Gewaltausübung zugegriffen. Zu allen Zeiten gelangten die durch koloniale Ausbeutung, aber auch durch Kauf und Handel erworbenen Waren nach Europa. Dabei war Elfenbein besonders gefragt.
Die Jagd auf Elefanten war bis zum 19. Jahrhundert auch für Jäger gefährlich. Daher blieb der damalige Eingriff in die Bestände, gemessen an den Abschusszahlen des 19., 20. und 21. Jahrhunderts, eher geringfügig. Erst mit modernen Waffen ließen und lassen sich massenhaft Tiere aus sicherer Distanz erlegen.
Die Elfenbeinschnitzereien des Barock trugen nicht zur Ausrottung der Tiere bei. Dafür war seit dem späten 19. Jahrhundert der Verbrauch des Elfenbeins für belanglose Massenware verantwortlich. Inzwischen haben 183 Länder dem globalen Handelsverbot für Elfenbeinwerke, die nach 1947 entstanden, zugestimmt. Das Liebieghaus befürwortet das Handelsverbot und den internationalen Tierschutz.

Hofbildhauer
Kunstkammern entwickelten sich im 15. und 16. Jahrhundert aus weltlichen und geistlichen Schatzkammern. Sie versammelten etwa wissenschaftliche Geräte, Goldschmiedearbeiten, Gemälde, Naturalien wie Kokosnüsse oder Muscheln, Statuen, darunter oft Antikenkopien, und auch Objekte aus Elfenbein.
Wunsch der Kunstkammerbesitzer war es, Einzigartiges zu sammeln. Das führte oft zur Anstellung von Hofbildhauern, die vor allem für ihre Auftraggeber arbeiten sollten. Zu den Privilegien eines Hofbildhauers gehörten ein festes Jahresgehalt oder auch ein Quartier bei Hof. Häufig wurde der zu bearbeitende Werkstoff zur Verfügung gestellt. Zudem war ein Hofkünstler von einschränkenden Zunftbestimmungen befreit. Er konnte also eine große Werkstatt mit verschiedenen Gewerken führen. An der Spitze der Karriereleiter standen jene Künstler, die Zutritt zu den Privaträumen ihrer Dienstherren hatten: die Kammerkünstler. Zahlreiche Bildhauer der Sammlung Winkler hatten beim Kaiser, einem weltlichen oder einem geistlichen Fürsten die Stellung eines Hof- oder Kammerbildhauers inne.

Götterfiguren und Mythen der griechischen und römischen Geschichte
Die griechische und römische Antike war von jeher Vorbild für Künstler späterer Epochen. Besonders die von Homer in der Ilias und der Odyssee überlieferten griechischen Mythen dienten als Motivfundus. Spätere Autoren der römischen Zeit wie Ovid und Lukian berichteten von Götterliebschaften und von Menschen beziehungsweise Fabelwesen, die sich gegen die olympischen Götter aufgelehnt oder sie gar verhöhnt hatten. Dafür wurden sie von den Göttern bestraft.
Götterdarstellungen, allen voran Venus, Amor und Diana, sowie Szenen mit Götterliebschaften waren gleichfalls überaus beliebte Themen für kleine Statuen und Reliefs. Die römische Frühzeit ist in der Sammlung Winkler etwa mit der häufig gestalteten Erzählung von der Schlichtung des Streits zwischen Römern und Sabinern vertreten.
Die Künstler des Barock übernahmen nicht nur antike Themen. Oft bezogen sie sich mit ihren Werken auch auf berühmte Skulpturen der Antike und zeigten sie in neuem Zusammenhang. Zudem war es eine besondere künstlerische Herausforderung, die oft vielfigurigen historischen oder mythologischen Szenen auf so kleinem Format darzustellen.

Kombinationsfiguren aus Holz und Elfenbein
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts kam die Kombination von Elfenbein mit anderen Materialien, meist Holz, in Mode. Gelegentlich verwendete man auch Zinn oder Silber für Beschläge oder Sockel. Die Figuren wurden aus mehreren Stücken kunstvoll zusammengesetzt. Dadurch wirkt es, als verberge sich unter den Kleidern aus Holz ein vollständiger Elfenbeinkörper. Tatsächlich aber besteht beispielsweise der Mann mit phrygischer Mütze aus 11 Elfenbeinteilen und 5 Holzstücken. Zu den berühmtesten Künstlern, die sich dieser Technik widmeten, gehören Simon Troger und Matthias Kolb.
Es ist auffällig, dass die meisten der Kombinationsfiguren Augen aus gefärbtem Glas erhielten. Durch ein kleines Loch im Hinterkopf wurden sie in die Augenhöhlen eingesetzt. Oft tragen die Gestalten Hüte, um dieses Loch zu verdecken.
Zumeist sind es Bettler oder antike Götterfiguren, die im Kombinationsstil gestaltet wurden. Nur ausnahmsweise wird der Stil für christliche Themen oder auch für Porträts genutzt, so etwa bei der Maria Immaculata und dem Porträt des Isaac Watts.

Porträts
Ähnlichkeit zu den Dargestellten war im Barock nicht von Bedeutung. Wichtiger waren eine Idealisierung und die Wiedergabe ihrer gesellschaftlichen Stellung. Insbesondere im 18. Jahrhundert porträtierte man vermehrt Persönlichkeiten, deren Leben und Werk als vorbildhaft galten. Oft waren dies Philosophen oder Schriftsteller wie Voltaire oder Jean-Jacques Rousseau, die durch unkonventionellere Kleidung gekennzeichnet wurden.
Herrscherdarstellungen betonte man durch Orden und kostbare Kleidung. Zudem blickten sie mit erhobenem Kopf seitwärts. Mit diesem Blick in die Ferne demonstrierten sie ihren erhabenen Blick über die politischen Geschicke ihres Herrschaftsbereichs.
Diese Komposition der Büsten findet sich auch bei Porträtmedaillons – einer seit der frühen Barockzeit bedeutenden Präsentationsform. Die Künstler wählten für Medaillons häufig die Wiedergabe der Porträtierten im Profil. Bedeutende Bildhauer dieser Gattung waren die beiden aus Dieppe stammenden Jean Cavalier und David Le Marchand.

Gefäße und Utensilien
Prunkgefäße aus Elfenbein gehörten zu den begehrtesten Objekten fürstlicher Sammelleidenschaft. Oft waren sie mit einem Standfuß und einem Deckel aus Edelmetall versehen. Diese Gefäße dienten nicht dem Gebrauch. Sie waren Schaustücke, die bei Festbanketten Buffets schmückten. Zwei solcher Deckelhumpen befinden sich in der Sammlung Winkler. Andere Gefäße der Sammlung sind ein Pokal, ein Becher, kleine Büchsen und ein Riechfläschchen.
Der Elfenbeinschnitzer Balthasar Grießmann, Hofbildhauer am erzbischöflichen Hof in Salzburg, hatte eine besondere Vorliebe für Prunkkannen und Prunkplatten. Seine Virtuosität erlaubte es ihm, Prunkkannen ohne jede metallene Verstärkung zu schaffen – hier zu sehen in einer Vitrine. Von seiner Hand stammen weiterhin vier Reliefplatten mit Jagdszenen, die ursprünglich an einer Prunkschale angebracht waren.
Beliebte Themen für Gefäße waren Seegottheiten oder auch Trinkgelage, die auf die eigentliche Funktion der Pokale, Becher und Humpen sinnreich anspielen. Auch biblische Themen sind zu finden. Solche Gefäße gehörten vielleicht in die Kunstkammer eines geistlichen Fürsten.

Leonhard Kern und Georg Pfründt
Zu den bekanntesten Bildhauern der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gehört Leonhard Kern. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde er am brandenburgischen Hof für ein Jahr zum Hofbildhauer ernannt. Auch während dieses Jahres, das er nicht gänzlich am Hof verbrachte, bot er seine Werke in seinem Geschäft in der Reichsstadt Schwäbisch Hall zum Kauf an. Das Liebieghaus besitzt eigenhändige Arbeiten Kerns aus Holz, Alabaster, Bronze und Stein. Eine Elfenbeinstatuette des Museums entstammt dem Umkreis des Bildhauers. In der Sammlung Winkler gehören einige Elfenbeinwerke in seine Nachfolge.
Ein Schüler Leonhard Kerns war Georg Pfründt. Er kämpfte im Dreißigjährigen Krieg an der Seite der Protestanten und geriet in Gefangenschaft. Danach wandte er sich nach Frankreich, ehe er sich in Nürnberg niederließ. Wie Kern wurde er zu einem geschätzten Künstler und hatte insbesondere beim Adel großen Erfolg. Zur Sammlung des Museums gehören zwei Werke des Bildhauers aus Holz beziehungsweise Ton, die ihm zugeschrieben werden. Zwar arbeitete Pfründt nicht selbst in Elfenbein, hatte aber sicherlich Einfluss auf Elfenbeinschnitzer, wie dies das Paar Adam und Eva aus der Sammlung Winkler belegt.

Die Künstlerfamilie Schenck
Zu den einflussreichsten Bildhauern im Bodenseegebiet zählen Mitglieder der Künstlerfamilie Schenck. Johann Caspar und sein jüngerer Verwandter Christoph Daniel gehören zu ihren bedeutendsten Vertretern. Johann Caspar arbeitete als Hofschnitzer am erzbischöflichen Hof in Salzburg und wurde schließlich Hofbildhauer bei Kaiser Leopold I. in Wien. Wahrscheinlich begleitete ihn Christoph Daniel nach Wien. Nach dem Tod seines Verwandten kehrte er 1674 an den Bodensee zurück.
Ein Meisterwerk Johann Caspar Schencks ist die Allegorie des Sommers. Sie zeigt mit den hageren Männerkörpern, harten Faltenstegen der Kleider, mit zu schmalen Pferdeschnauzen und schräg verlaufenden Riffelungen der Baumstämme typische Merkmale seines Stils.
Die religiöse Thematik, die das großplastische Werk von Christoph Daniel Schenck beherrschte, bestimmte schließlich auch seine Kleinplastik. Diese gilt heute als seine wesentliche bildhauerische Leistung. Ein Elfenbeinrelief des Liebieghauses mit zugehörigem Holzrahmen zeigt große Kunst in kleinem Format.
Ein unbekannter Meister, der seine Werke mit »ICL« signierte, gehört in den Schenck-Umkreis. Er schuf die ergreifende Darstellung des Christus an der Geißelsäule.

Jacob Dobbermann
Jacob Dobbermann war 14 Jahre lang als »Bernstein- und Helffenbein arbeiter« beim Landgrafen Karl von Hessen-Kassel angestellt. Er bearbeitete vor allem die Materialien Elfenbein, Bernstein und Straußenei. Zuvor war er in London tätig. Anders als in Wien, wo Hofkünstler nur mit Erlaubnis ihrer Dienstherren für andere Auftraggeber arbeiten durften, führte Dobbermann während seiner Zeit als Hofkünstler Aufträge auch für andere Käufer aus.
Sein heterogenes Werk weist unterschiedliche stilistische Merkmale auf. Stämmige Figuren mit zu großen Köpfen und schweren Lidern sind für die 1720er- und 1730er-Jahre charakteristisch. In die Londoner Zeit fallen füllige Figuren mit eher kleinen Köpfen und anspruchsvollen Figurenkompositionen. Die Bandbreite der von Dobbermann gestalteten Themen umfasst mythologische und religiöse Reliefs, Porträtstatuen, Porträtmedaillons und Gefäße.
Besonders qualitätsvoll sind seine figurativen Darstellungen historischer Persönlichkeiten des 16. und 17. Jahrhunderts. Zwei derartige kleine Porträtstatuen sind in der Sammlung Winkler zu finden. Auch ein Relief mit einer Götterliebschaft und ein Porträt belegen das hohe Können Dobbermanns.

Niederländisch-flämische Künstler
Neben der deutsch-österreichischen Elfenbeinschnitzerei spielte vor allem die niederländisch-flämische Kunst eine wichtige Rolle. Bedeutende Bildhauer wie François Duquesnoy, Gérard van Opstal und Francis van Bossuit hatten durch ihre Werke großen Einfluss auf ihre Zeitgenossen und nachfolgende Künstler.
Sowohl Duquesnoy als auch Opstal sind bekannt für ihre Kinderdarstellungen. Ein Putto und ein kleiner Amor der Sammlung Winkler sind nach Vorbildern Duquesnoys geschaffen, Kinder bevölkern auch die Reliefs von Opstal. Das größte dieser Reliefs gehörte im 17. Jahrhundert vielleicht dem französischen König Ludwig XIV.
Zu den bekanntesten Künstlern dieses Kreises gehört außerdem Francis van Bossuit, dem in der Sammlung Winkler wichtige Werke zugeschrieben werden. Dazu zählt die Darstellung Raub der Sabinerinnen und in einer anderen Vitrine das Relief Merkur, Argus und Io.

Süditalien und Sizilien
Abgesehen von Florenz und Rom blühte die italienische Elfenbeinkunst insbesondere im Süden beziehungsweise Sizilien. Eine Besonderheit besteht in der häufigen Verwendung von Koralle, zu deren Gewinnung man von der Hafenstadt Trapani aus bis an die afrikanische Küste fuhr. Im 17. und 18. Jahrhundert gab es in Trapani zahlreiche Künstler, die auch in Elfenbein sowie Alabaster und Holz schnitzten. Die Sammlung Winkler besitzt zwei Werke aus Koralle. Die stehende Madonna ist aus einer Vielzahl von einzelnen Korallenästen zusammengesetzt. Bei der kleinen Figur erkennt man auf der Rückseite noch die ursprüngliche Naturform.
Zu den Merkmalen der trapanesischen Werke gehören die Bühnenhaftigkeit der Szenen, die kleinen, teils sogar winzigen Figuren sowie die strähnige und zugleich weiche Formulierung der Gewandfalten. Diese Kennzeichnen verbinden die Reliefs mit einem der Meisterwerke der Sammlung Winkler, dem Sturz der abtrünnigen Engel.

Dieppe
Zentren der Elfenbeinkunst in Frankreich bildeten neben Paris insbesondere St. Claude und die Hafenstadt Dieppe. Bereits im 14. und 15. Jahrhundert wurde hier Elfenbein importiert. Zugleich entstanden die ersten Elfenbeinwerkstätten. Nähere Informationen über die Elfenbeinschnitzerei und einzelne Künstler in Dieppe sind jedoch erst aus dem 17. Jahrhundert überliefert. Neben Porträts, kleinen Statuen und Reliefs werden auf Werbezetteln des 18. Jahrhunderts als Diepper Erzeugnisse etwa Dosen, Fächer, Kompassscheiben oder Kämme genannt.
Berühmte Künstler entstammen Diepper Elfenbeinschnitzerfamilien: David Le Marchand verließ seine Heimatstadt und siedelte sich zuerst in Edinburgh, später in London an. Der vermutlich gleichfalls aus Dieppe stammende Jean Cavalier bereiste zahlreiche europäische Höfe, so in London, Kopenhagen, Stockholm, Kassel, Berlin und Braunschweig. Werke beider Künstler finden sich hier in der Ausstellung im Bereich der Porträts. Jean Antoine Belleteste blieb in seiner Heimatstadt und schuf großartige Werke wie die Kreuzigungsszene.

Mittelalterliche Werke
Wenige Objekte der Sammlung Winkler stammen aus mittelalterlicher Zeit. Sie gehören zu den ältesten Erwerbungen und bildeten damit den Grundstock der Sammlung: Das kleine französische Elfenbeintäfelchen erweckte die Leidenschaft des Sammlers für Elfenbeinwerke. Es zeigt die Geburt Christi und war ursprünglich Teil eines Diptychons, einer zweiteiligen zusammenklappbaren Relieftafel. Solche Elfenbeinreliefs waren im 13. und 14. Jahrhundert in Europa beliebt. Drei mittelalterliche Objekte stammen aus dem Kreis oder der Nachfolge der Embriachi-Werkstatt, die im 15. Jahrhundert in Florenz und Venedig tätig war. Bekannt ist sie vor allem durch ihre kombinierten Arbeiten aus Holz und Elfenbein. Zu den berühmten Arbeiten der Werkstatt zählen Kassetten in der Art des sechseckigen, turmartigen Kästchens der Sammlung Winkler.
Ebenfalls in den Kreis der Embriachi ist das Täfelchen mit Christus zwischen Maria und Johannes einzuordnen. Solche Täfelchen boten Priester im Spätmittelalter den Gläubigen vor der Kommunion zum Kuss an. In der Art der Embriachi-Werkstatt ist auch das Triptychon mit der Kreuzigung Christi gestaltet. Der Altaraufsatz zeigt den gekreuzigten Christus, zu dessen Füßen Maria und Johannes stehen, flankiert von Soldaten. Auf den beiden Flügeln sind die Apostel Petrus (mit Schlüssel und Buch) und Paulus (mit Schwert und Buch) dargestellt.

Die Künstlerfamilie Lücke
Im ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert arbeiteten mehrere Generationen der Familie Lücke als Elfenbeinschnitzer, Bildhauer und Porzellanmodelleure. Mit Carl August Lücke d. Ä. (1688–1730/33?) – wohl Vater von Carl August d. J. und Johann Christoph Ludwig – begann die reiche Tätigkeit der bekannten Künstlerfamilie. Neben Statuetten schuf er vor allem Porträts aus Elfenbein, zumeist von männlichen Angehörigen des Bürgertums und niederen Adels. Von ihm ist eine Vielzahl von Elfenbeinbüsten männlicher Unbekannter erhalten. Auch Carl August d. J. (um 1710–1779) hat eine Reihe von Porträtbildnissen geschaffen, darunter die Büsten der Zarin Elisabeth I. von Russland und das Bildnis eines Unbekannten. Beide, der ältere und der jüngere Carl August, kombinierten seriell verwendete Porträttypen mit realistischen Gesichtsausdrücken und dekorativen Elementen.
Der berühmteste Künstler der Familie Lücke ist Johann Christoph Ludwig (um 1703–1780). Neben seiner meisterhaften Darstellung der Allegorie der Verdammnis können von ihm die Elfenbeinwerke eines Lagernden Knaben und das Relief eines alten Bettlerpaars präsentiert werden. Mit seinen Werken steht er in der Tradition künstlerischer Vorbilder wie François Duquesnoy und Balthasar Permoser. Seine Arbeiten zählen zu den Höhepunkten der Kleinplastik des 18. Jahrhunderts.

Biblische Darstellungen
Einen Großteil der Sammlung Winkler bilden Werke mit biblischem Inhalt. Neben wenigen Motiven aus dem Alten Testament zeigen sie Szenen aus dem Leben Jesu, Andachtsbilder mit Christus, Maria und verschiedenen Heiligen sowie Allegorien der Vergänglichkeit des Irdischen.
Die häufig auf zentrale Glaubensaussagen reduzierten Darstellungen des Christusknaben und des gegeißelten Christus dienten der inneren Andacht und dem Verbildlichen der Menschwerdung Gottes. Zu den vorrangigen Mariendarstellungen im Barock gehört die Maria Immaculata – die Maria der unbefleckten Empfängnis. Als von jedem Makel der Erbsünde befreit wird sie oftmals ohne Christusknaben, auf einer Weltkugel stehend und auf die Schlange – als Zeichen der Erbsünde und des Bösen – tretend dargestellt.
Die Allegorien nehmen mit dem Totenschädel als zentralem Bildelement zum einen Bezug auf den Kreuzigungsort Jesu. Zum anderen beziehen sie sich ganz allgemein auf die Vanitas, also die Vergänglichkeit des irdischen Lebens. Heilige werden durch ihr vorbildhaftes christliches Handeln von Gläubigen verehrt und in der Kunst mit Merkmalen, die ihr Leben und Wirken versinnbildlichen, oder ihren oft grausamen Martyrien dargestellt. Ihre Bilder dienen der christlichen Spiritualität und Andacht.

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