4. November 2015 bis 28. März 2016
Pressevorbesichtigung: Dienstag, 3. November 2015, 11.00 Uhr Liebieghaus Skulpturensammlung
(Frankfurt am Main, 17. September 2015) In einer umfangreichen Sonderausstellung präsentiert die Liebieghaus Skulpturensammlung vom 4. November 2015 bis 28. März 2016 zentrale Kunstwerke des französischen Rokoko. Mit über 80 herausragenden Leihgaben fokussiert die Ausstellung „Gefährliche Liebschaften“ das neu aufkommende Konzept von empfindsamer Liebe und deren vorherrschende Darstellung in der französischen Kunst um 1750 und vergegenwärtigt die Verführungskraft des Rokoko. Zu sehen sind Skulpturen, Biskuitporzellanstatuetten, Gemälde und Grafiken sowie Kunsthandwerk von namhaften Leihgebern, wie dem Rijksmuseum in Amsterdam, dem Musée du Louvre in Paris, dem British Museum und dem Victoria and Albert Museum in London, dem Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid oder dem Wallraf-Richartz Museum & Fondation Corboud in Köln und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek in München. Nicht nur Kunsttheoretiker und Schriftsteller, auch bildende Künstler machten sich während der Regierungszeit des französischen Königs Ludwig XV. über die Bedeutung von Gefühlen und Leidenschaften Gedanken. Waren im 17. Jahrhundert noch standardisierte Gefühlsdarstellungen grundlegend, so verloren, je mehr die Liebe als Emotion des Individuums verstanden und zum Sinn des Lebens erhoben wurde, vorgegebene Leidenschaftsformeln in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts an Gewicht. Neue Liebesmodelle und – damit einhergehend – die Natur als höfisches Arkadien, als Sehnsuchtsort, prägten die Gestaltungsformen in der bildenden Kunst. In Arbeiten der Bildhauer Étienne-Maurice Falconet (1716– 1791) und Jean-Baptiste Pigalle (1714–1785) sowie der Maler Jean-Antoine Watteau (1684–1721), Nicolas Lancret (1690–1743) und François Boucher (1703–1770) oder Porzellanskulpturen von Johann Joachim Kaendler (1706–1775) steht die Frage nach der künstlerischen Vorstellung von Natürlichkeit im Vordergrund. Ein Raum innerhalb der Ausstellung demonstriert darüber hinaus durch Spiegel, Möbel, Gemälde, Grafik und Porzellan die Anmutung eines Salons des 18. Jahrhunderts.
Die Ausstellung „Gefährliche Liebschaften. Die Kunst des französischen Rokoko“ erfährt Unterstützung durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain gGmbH und die Georg und Franziska Speyer’sche Hochschulstiftung.
„Die Kunst des französischen Rokoko polarisiert und verzaubert. Damals wie heute sorgt sie für unterschiedlichste Reaktionen zwischen Faszination und Ablehnung, Bewunderung und Unverständnis. Dank namhafter Leihgaben aus den wichtigsten Sammlungen der Welt können wir mit unserer groß angelegten Ausstellung die stilprägende Kraft dieser einzigartigen Epoche – mit ihren neuen Liebesvorstellungen und der Idealisierung des ländlichen Lebens durch den Adel – im Liebieghaus nachvollziehbar machen“, so Max Hollein, Direktor der Liebieghaus Skulpturensammlung.
„Im 18. Jahrhundert entdeckten Künstler wie Jean-Antoine Watteau, François Boucher, Étienne-Maurice Falconet, Jean-Baptiste Pigalle oder Jean-Honoré Fragonard die ruhigen, lieblichen Liebesstimmungen als Motivfundus. Ihre Motive voller Natürlichkeit und beruhigter Liebe wurden schon wenige Jahre später von Kritikern wie Choderlos de Laclos als verwerflich, bar jeder Wahrheit und gar als gefährlich bezeichnet. Dass sie dennoch zu den schönsten Kunstwerken des Rokoko gehören, möchten wir mit unserer Ausstellung deutlich machen“, so Maraike Bückling, Kuratorin der Ausstellung und Leiterin der Abteilungen Renaissance bis Klassizismus in der Liebieghaus Skulpturensammlung.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts galt die Liebe als allgemeinstes aller Gefühle, das von allen Menschen empfunden werden konnte. Im Rückgriff auf Theaterstücke, Fabeln, Opern und Erzählungen setzten bildende Künstler wie Jean-Antoine Watteau oder François Boucher die neuen Liebeskonzepte bildlich um. Die Liebesszenen zeigen nicht mehr zerstörerische Götter- und Heldenleidenschaften, sondern offenbaren zärtliche Zuneigung zwischen Individuen. So änderte sich das göttliche Personal zunehmend in Figuren der Pastorale, des Schäferstückes. Genreszenen mit Schäfern, Hirten und Gärtnern als Liebespaare wurden nahezu paradigmatisch für die Darstellungen einer beruhigten, innigen Liebe in einem höfischen Arkadien dieser Zeit. Die Begeisterung des Adels für diese Szenen und deren beschauliche Ungezwungenheit und Natürlichkeit zeigte sich auch in ihrer Selbstinszenierung. Schäfer und Schäferin in den Mittelpunkt stellende Verkleidungsspiele wurden beliebt. Diese Faszination führte zu vorgetäuschten und idealisierten Bauerngehöften, zum Beispiel in den Parkanlagen von Versailles, die zumeist luxuriös mit edlen Wandverkleidungen und eigens in Sèvres hergestellten Servicen ausgestattet waren. Im Hinblick auf diese Begeisterung für das Hirtenthema überrascht es nicht, dass diese Thematik in allen Kunstgattungen Einzug hielt. Auch die Bildhauer Étienne-Maurice Falconet und Jean-Jacques Bachelier (1724–1806) erarbeiteten pastorale Szenen wie beispielsweise bei den Biskuitgruppen Annette und Lubin (1764, Düsseldorf, Hetjens- Museum – Deutsches Keramikmuseum) oder Die Fee Urgèle (1767, Sèvres, Cité de la Céramique – Sèvres et Limoges, Musée national de Céramique). Hierbei beziehen sie sich, wie auch ihre Malerkollegen, auf literarische Vorbilder. Für die Porzellanmanufakturen in Meißen und Höchst gestalteten Johann Joachim Kaendler, Laurentius Russinger (1739–1810) und Johann Peter Melchior (1747–1825) ländliche Themenwelten. Die pastoralen Paare befinden sich ausnahmslos in der Natur. Die Natur wird jedoch nicht unberührt dargestellt: Die Liebenden – die in ihren bäuerlichen Trachten stets elegant wirken und eher adeligen Erscheinungen gleichen – wandeln durch Gärten oder verwunschene, verwilderte Parklandschaften.
Während die 1648 gegründete Académie royale de peinture et de sculpture schablonenhafte Vorgaben für Gefühlsdarstellungen kannte, lösten sich die Künstler im Zuge der Hinwendung zu individuellen Gefühlswelten vom Regelwerk des 17. Jahrhunderts. Dass das Gefallen des Betrachters zunehmend als kritische Instanz verstanden wurde, führte letztlich zur Distanzierung von den vorherrschenden Richtlinien. Der Betrachter sollte gerührt werden. Erzielt werden sollte dies dadurch, dass die Werke seine Welt, seine Umgebung und seine Gefühle aufgriffen. In der Malerei und Porzellanskulptur des Rokoko wurden somit nicht Tugendideale oder bewunderungswürdige Heldentaten abgebildet. Die Figuren zeichneten sich vielmehr durch Sanftheit und Zärtlichkeit aus und nahmen unabhängig davon, ob pastorale Themen oder antike Mythologien wiedergegeben wurden, eine alltäglich-zierliche Gestalt an.
Rundgang durch die Ausstellung
Gleich zu Beginn der Sonderausstellung „Gefährliche Liebschaften. Die Kunst des französischen Rokoko“ erhält der Besucher eine Vorstellung eines Rokokosalons. Im ersten Raum wird für die Zeit um 1750 beispielhaftes Mobiliar gezeigt. Wandverkleidung, Gemälde, Armlehnsessel, Kommoden, Spiegel, Kerzenhalter, Porzellan, Tapisserien – alle Details waren aufeinander abgestimmt, um ein homogenes Gesamtbild zu erzeugen. Die beliebten Genreszenen, die ihre Vorbilder in der Literatur und der Malerei finden, wurden von den unterschiedlichen Gewerken aufgegriffen. Anschaulich verdeutlichen diesen Zusammenhang die Bezüge der zwei Armlehnstühle aus der Münchner Residenz, die nach Kinderdarstellungen von François Boucher angefertigt wurden. Mitte des 18. Jahrhunderts erfreuten sich diese „Enfants Boucher“ großer Beliebtheit, auch als Motive für Porzellangruppen.
Im Übergang vom ersten Raum zur Villa Liebieg werden Kostüme gezeigt. Es sind Kleider, die für die Opernaufführung Un ballo in maschera von Guiseppe Verdi (1813–1901) für die Oper Frankfurt angefertigt wurden. Sie entsprechen den historischen Rokokogewändern und transportieren eine konkrete Idee der damaligen Lebenswelt. Für die Mode des französischen Rokoko war der höfische Geschmack bestimmend. Insbesondere gefiel der Kleidertyp „Robe à la française“, der mit seinen vom Nackenausschnitt bis zum Boden reichenden Stofffalten den Rücken der Frauen akzentuierte. Diesem Detail schenkten Maler wie Jean-Antoine Watteau und seine Nachfolger besondere Aufmerksamkeit, sodass es später als „Watteau-Falte“ bekannt wurde.
Nach dem Prolog, der die Besucher in den Lebensstil des Rokoko entführt, folgt im anschließenden Raum eines der gefeiertsten Werke des Bildhauers Étienne-Maurice Falconet. Sein Drohender Amor (Amour menaçant) von 1757 (Rijksmuseum, Amsterdam), geschaffen für Madame de Pompadour (1721–1764), eröffnet die Liebesthematik der Präsentation. Die Marmorskulptur markiert eine Stiländerung in Falconets Œuvre, wandte er sich mit dem Amor doch erstmals einer scheinbar leichteren und weniger ernsten Thematik zu. Der geheimnisvolle Blick und der zum Stillsein ermahnende Zeigefinger machen den Betrachter zum Eingeweihten in die heimlichen Pläne des Liebesgottes. So zieht der kleine Knabe bereits mit seiner anderen Hand einen Pfeil aus seinem Köcher. Die Eindringlichkeit, mit der Falconet den Betrachter in das Werk einbezieht, erinnert dabei an die dramatischen und theatralischen Stilmittel des römischen Barock.
Die Präsentation setzt sich in den nächsten Räumen mit Umschreibungen und Spielarten der empfindsamen Liebe fort. Ein außergewöhnliches Liebespaar (Pygmalion und Galathea, 1763, Paris, Musée du Louvre) von Falconet trifft hier auf anzügliche Szenen wie etwa Die Wippe (um 1755, Madrid, Museo Thyssen- Bornemisza) von Jean-Honoré Fragonard, Falconets Der gegebene Kuss (1765, London, British Museum) und Die Rückseite des Blattes (1760, Sévres, Cité de la Céramique-Sèvres et Limoges) aus Biskuitporzellan oder Die drei Vertrauten (1765, München, Bayerisches Nationalmuseum).
Häufig verwenden die bildenden Künstler um die Mitte des 18. Jahrhunderts Theaterstücke und Fabeln als Inspiration für ihre modernen Vorstellungen von Natürlichkeit und Liebe. Die pastoralen Werke etwa von François Boucher erfreuten sich solch großer Beliebtheit, dass seine Kompositionen in Reproduktionsgrafiken festgehalten wurden. Auf diese Art verbreiteten sie sich in ganz Europa. So fanden sich schlussendlich die Motive aus Erzählungen, Schauspiel und Oper, durch die Werke von Boucher vermittelt, auf Tafelservicen, Tapisserien, Möbeln und Porzellanstatuetten wieder. Die Ausstellung stellt Stiche, die das Theaterstück „Weinlese im Tempe-Tal“ illustrieren, pastoralen Porzellanstatuetten gegenüber. Dazu gehören beispielsweise Der Flötenunterricht (um 1752, Paris, Musée Jacquemart-André) nach René Gaillard (um 1719–1790) und Die Traubenesser (um 1766‒73, Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe) von Jean-Jacques Bachelier, beide nach François Boucher.
Die Vorliebe für das den pastoralen Themen inhärente Kleine und Intime setzte sich in der Hinwendung zu Kinderfiguren in Bouchers Werken fort und wird im letzten Abschnitt der Schau deutlich. Schon bald folgten dem Maler auch Bildhauer, wie Falconet und Bachelier, die Kinderstatuetten entwarfen. Die meist Tätigkeiten der Erwachsenen nachahmenden Kinder aus Biskuitporzellan musizieren, verkaufen Makronen, melken Kühe oder spielen die Drehleier.
Anders ist es bei den nahezu lebensgroßen Marmorstatuen, die Pigalle oder auch Falconet entwarfen. Die Darstellung Knabe mit dem Vogelkäfig (1749, Paris, Musée du Louvre) entspricht vielmehr der kindlichen Physiognomie und Beweglichkeit. Pigalle arbeitet die Fleischlichkeit des Kindes sehr präzise in der Oberfläche heraus, wodurch die Statue in ihrer Gesamtanmutung zwischen Putte, Allegorie und Bildnis changiert.
Zur Ausstellung erscheint ein umfassender Katalog im Hirmer Verlag, der einen differenzierten Überblick über die Frankfurter Schau bietet.
Gefährliche Liebschaften. Die Kunst des französischen Rokoko
Ausstellungsdauer: 4. November 2015 bis 28. März 2016
Pressevorbesichtigung: Dienstag, 3. November 2015, 11.00 Uhr
Kuratorin: Dr. Maraike Bückling (Leiterin der Abteilungen Renaissance bis Klassizismus, Liebieghaus Skulpturensammlung)
Architektur: Michiko Bach und Daniel Dolder, Darmstadt
Information: www.liebieghaus.de, info@liebieghaus.de, Telefon: +49(0)69-605098-0, Fax: +49(0)69-605098-112
Ort: Liebieghaus Skulpturensammlung, Schaumainkai 71, 60596 Frankfurt am Main
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr–So 10.00–18.00 Uhr, Do 10.00–21.00 Uhr, montags geschlossen
Sonderöffnungszeiten: Do., 24. Dezember 2015: geschlossen; Fr., 25. Dezember 2015 und Sa., 26. Dezember 2015: 10.00–18.00 Uhr; Mo., 28. Dezember 2015: 10.00–18.00 Uhr; Do., 31. Dezember 2015: geschlossen; Fr., 1. Januar 2016: 11.00–18.00 Uhr; Mo., 4. Januar 2016: 10.00–18.00; Fr., 25. März 2016: 10.00–18.00 Uhr; So., 27. März 2016: 10.00–18.00 Uhr; Mo., 28. März 2016: 10.00– 18.00 Uhr
Eintritt: 10 Euro, ermäßigt 8 Euro, Familienticket 18 Euro, freier Eintritt für Kinder bis zu 12 Jahren
Kartenvorverkauf unter: tickets.liebieghaus.de
Katalog: Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog im Hirmer Verlag, herausgegeben von Dr. Maraike Bückling, mit Beiträgen von Maraike Bückling, Sophia Dietrich-Häfner, Andreas Dobler, Kristina Dolata, Bastian Eclercy, Hans Körner, Petra Krutisch und Frits Scholten. Dt. Ausgabe, ca. 280 Seiten, ca. 220 Farbabbildungen, Museumsausgabe 34,90 Euro
Audioguide: Der Audioguide führt in deutscher und englischer Sprache durch die Ausstellung. Die deutschsprachige Tour wird gesprochen von Marie Bäumer. Der Preis für einen Audioguide beträgt 4 Euro, der Preis für zwei Audioguides 7 Euro
Öffentliche Führungen durch die Ausstellung: donnerstags 18.00 Uhr, samstags 16.00 Uhr und sonntags 15.00 Uhr
Rahmenprogramm: Höhepunkte sind u. a. Vorträge im Rahmen der Reihe „Aus erster Hand“: Donnerstag, 1. Oktober 2015, 19.00 Uhr: Faszinierendes Rokoko. Eine Vorschau auf die Ausstellung „Gefährliche Liebschaften“, Vortrag von Dr. Maraike Bückling, Leiterin der Abteilungen Renaissance bis Klassizismus des Liebieghauses; Donnerstag, 12. November 2015, 19.00 Uhr: Gefährliche Liebschaften. Die Kunst des französischen Rokoko. Führung mit Dr. Maraike Bückling.
Die Veranstaltungen sind im Eintrittspreis enthalten, eine Voranmeldung ist erforderlich: 069-605098- 200, buchungen@liebieghaus.de.
Weitere Programmangebote unter www.liebieghaus.de
Sonderführungen auf Anfrage: +49(0)69-605098-200, buchungen@liebieghaus.de
Social Media: Die Liebieghaus Skulpturensammlung kommuniziert die Ausstellung in den sozialen Medien mit den Hashtags #GefährlicheLiebschaften und #liebieghaus
Mit Unterstützung von: Kulturfonds Frankfurt RheinMain gGmbH, Georg und Franziska Speyer’sche Hochschulstiftung
Medienpartner: Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main
Kulturpartner: hr2-kultur
Presse: Axel Braun (Leitung), Silke Janßen, Karoline Leibfried, Jannikhe Möller, Paula Stuckatz Städel Museum, Dürerstraße 2, 60596 Frankfurt, Telefon: +49(0)69-605098-195,
Fax: +49(0)69-605098-188, presse@liebieghaus.de