1. Oktober 2014 bis 1. März 2015
Pressevorbesichtigung: Dienstag, 30. September 2014, 11 Uhr Liebieghaus Skulpturensammlung

(Frankfurt am Main, 30. September 2014) In einer groß angelegten Sonderausstellung widmet sich die Liebieghaus Skulpturensammlung der faszinierenden Tradition der (hyper)realistischen Skulptur. „Die große Illusion. Veristische Skulpturen und ihre Techniken“ bietet vom 1. Oktober 2014 bis 1. März 2015 einen fesselnden Einblick in die über 4.000 Jahre alten Bestrebungen von Bildhauern verschiedenster Stilepochen, möglichst lebensnahe skulpturale Wiedergaben des Menschen zu schaffen. Die Gegenüberstellung von 52 Werken aus unterschiedlichen Jahrhunderten eröffnet ein einzigartiges Gesamtbild dieses kunsthistorischen Phänomens. Zu erleben sind außerordentlich wirklichkeitsgetreue Bildwerke von beeindruckender, irritierender und zugleich schockierender Wirkung. Die Ausstellung beleuchtet verschiedenste Techniken zur Erzeugung illusionistischer Effekte wie die Verwendung von Echthaar, Glasaugen und aufwendige Bemalungen. Die Bandbreite der präsentierten Werke reicht von der ägyptischen, griechischen und römischen Antike über mittelalterliche Skulpturen – so von Michel Erhart (um 1440/45–nach 1522) – und Beispiele aus der Renaissance – etwa von Guido Mazzoni (um 1445–1518) – und dem Barock – wie von Pedro de Mena (um 1628–1688) – bis hin zu Arbeiten aus dem 18. Jahrhundert – u. a. von Luigi Dardani (1723–1787) – und, mit Arbeiten von Jean-Léon Gérôme (1824-1904) und Charles-Henri-Joseph Cordier (1827-1905), dem 19. Jahrhundert. Zudem spannen hyperrealistische Skulpturen von zeitgenössischen Künstlern wie Duane Hanson (1925–1996), John De Andrea (*1941) oder Ron Mueck (*1958) einen Bogen bis in die Gegenwart. Die Konfrontation der vielfältigen Exponate aus den verschiedensten Epochen schafft überraschende Verbindungen und vergegenwärtigt die oftmals seit Jahrtausendenden überlieferten Traditionen technischer Methoden, deren sich die Künstler zum Teil bis heute unverändert bedienen. Mit Leihgaben aus dem Musée du Louvre in Paris, dem Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam, dem Museo del Prado Madrid, dem Kunsthistorischen Museum Wien oder dem Ägyptischen Museum Berlin verdeutlicht die Ausstellung das übergreifende Bestreben von Künstlern, eine perfekte Illusion und ein möglichst realitätsnahes Erscheinungsbild der menschlichen Gestalt zu erzeugen.

Die Ausstellung wird durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain gefördert und erfährt von der Hessischen Kulturstiftung zusätzliche Unterstützung.

„Die zeitlose Faszination für besonders realitätsnahe Skulpturen, aber auch das ebenso uralte Bedürfnis, das menschliche Aussehen möglichst lebensecht nachzubilden, zeigt ‚Die große Illusion‘ auf überraschende und teilweise drastische Weise“, sagt Max Hollein, Direktor der Liebieghaus Skulpturensammlung.

Die hyperrealistischen, täuschend echt wirkenden Figuren von zeitgenössischen Künstlern wie Duane Hanson oder John De Andrea beeindrucken aufgrund ihrer verblüffend realistischen Erscheinung. Irritierend illusionistische Effekte von Skulpturen sind jedoch kein neues, sondern bereits ein rund 4.500 Jahre altes Phänomen. Um dies zu verdeutlichen, zeigt „Die große Illusion“ die Exponate in ihrer Zusammenstellung nicht chronologisch, sondern epochenübergreifend inmitten der Liebieghaus Skulpturensammlung; die Ausstellung erstreckt sich über fast alle Ausstellungs- und Sammlungsbereiche. Schon in der Antike wurden Perücken aus natürlichem Haar, Kleidung aus echten Textilien und Schmuck für die Skulpturen verwendet, um möglichst realistisch wirkende Figuren entstehen zu lassen, und bis heute werden – unabhängig vom Ausgangsmaterial der Skulptur wie Holz, Stein, Metall, Wachs oder Kunstharz – ganz ähnliche Methoden genutzt. Die gemeinsame Präsentation ermöglicht damit einen künstlerischen Brückenschlag von der Antike bis in unsere Zeit.

Im Mittelpunkt dieser ungewöhnlichen Konfrontation steht die Frage, welche technischen Mittel verwendet wurden, um eine möglichst realitätsnahe Wirkung bei plastischen Bildwerken zu erzielen. So gliedert sich die Ausstellung nach den technischen Verfahren, den verschiedenen handwerklichen Mitteln und verwendeten Realien. „Mit unserer bewussten Fokussierung auf die technischen Aspekte und die handwerklichen Methoden der Bildhauer zur Erzeugung veristischer Werke eröffnet die Präsentation einen neuen und höchst spannenden Blick auf ein bislang nur wenig erforschtes Kapitel in der Kunstgeschichte der Skulptur“, sagt Dr. Stefan Roller, Kurator der Ausstellung und Leiter der Mittelaltersammlung des Liebieghauses.
Die Sonderausstellung beginnt in den Räumen der Antikensammlung mit der Präsentation einer mit 71 Zentimetern ungewöhnlich hohen, beweglichen Gliederpuppe: Während der aus Holz geschnitzte Unterleib des Christuskindes (Ursulinenkloster, Landshut) vermutlich noch aus dem 16. Jahrhundert stammt, entstand der Oberkörper in der Barockzeit. Der äußert lebendig wirkende Kopf wurde mit Augen aus weißem Glas, einer aufgeschmolzenen dunklen Iris sowie Echthaar versehen.
Die Fülle der gewählten Materialien und die Jahrtausende übergreifenden Traditionen zeigen sich in dieser Ausstellungssektion durch die Gegenüberstellung der Skulptur Algerische Jüdin (um 1862, Van Gogh Museum, Amsterdam) des französischen Bildhauers Charles-Henri-Joseph Cordier (1827–1905), die Materialien wie Bronze, Onyx, Emaille und Amethyst kombiniert, mit der etwa 260 Jahre älteren, aus farbigem Stein gearbeiteten Büste einer Schwarzafrikanerin (Museo del Prado, Madrid) des französischen Künstlers Nicolas Cordier (1567–1612). Diese Werke stehen wiederum im Kontext sumerischer und ägyptischer Skulpturen der Sammlung des Liebieghauses, wobei ein Bezug zu den mit eingesetzten Augen versehenen griechischen und römischen Marmor- und Bronzewerken der Antike deutlich wird. Der 2011 entstandene, verblüffend echt wirkende Frauenakt Ariel II (Privatbesitz, New York), eine aus bemalter Bronze geschaffene Skulptur des US-amerikanischen Bildhauers John De Andrea (*1941), stellt in dieser Zusammenstellung im ersten Ausstellungsbereich den Bezug zur Gegenwart her.

Im Sammlungsbereich des Mittelalters steht die oftmals sehr aufwendige Bemalung der Skulpturen im Fokus. Eine Imitation und Illusion von menschlicher Haut zu schaffen – ob nun auf Holz, Stein, Marmor oder Bronze – zählt zu den ersten veristischen Techniken überhaupt. Die immense Bedeutung der Farbfassung für eine möglichst realistische Wirkung von Skulpturen verdeutlichen eindrückliche Beispiele wie ein spätmittelalterlicher, drastisch bemalter Christuskopf aus Kalkstein (Champagne, Anfang des 16. Jahrhunderts; Louvre, Paris), eine lebensgroße Beweinungsgruppe (niederländisch, Walnussholz, um 1500; Liebieghaus Skulpturensammlung) und der aus Zedernholz geschaffene Ecce Homo (1679, Museo de Escultura, Valladolid) des spanischen Barockkünstlers Pedro de Mena (1628–1688).
Mit naturwissenschaftlichen Materialanalysen und praktischen Versuchen wurde eigens für die Sonderausstellung die ursprüngliche Farbfassung einer Büste der heiligen Barbara (Liebieghaus Skulpturensammlung) des Bildschnitzers Michel Erhart (um 1440/45–nach 1522) sowohl in technischer als auch optischer Hinsicht minutiös rekonstruiert. Nicht nur die erstaunlich echt anmutende Imitation von Haut konnte dabei nachvollzogen werden, auch die verschiedenen Applikationen und die starke Farbigkeit wurden wieder hergestellt. Damit schließt die Ausstellung „Die große Illusion“ thematisch an frühere Präsentationen des Liebieghauses wie „Bunte Götter“ (2008/2009), „Niclaus Gerhaert. Der Bildhauer des Mittelalters“ (2011/2012) oder jüngst „Zurück zur Klassik“ (2013) an, die wesentliche Beiträge zur Erforschung der Polychromie antiker und mittelalterlicher Skulpturen lieferten. Das Original und die Rekonstruktion sind in der Präsentation gemeinsam zu sehen.

Auch die Verwendung von Haarapplikationen in verschiedenen Epochen für die lebensechte Wirkung der Skulpturen lässt sich in der Ausstellung in mehreren Räumen eindrucksvoll nachvollziehen: ob anhand spätgotischer Skulpturen (Nationalmuseum, Warschau; Musée de Cluny, Paris) oder von Figuren des 17. bis 19. Jahrhunderts aus Holz, Pappmaschee oder Wachs aus verschiedenen öffentlichen und privaten Sammlungen sowie kirchlichem Besitz, aber auch einiger Beispiele unserer Zeit. Sogar eine ägyptische Mumienmaske aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert mit einer aus Baumwolle gefertigten Perücke wird zu sehen sein (Ägyptisches Museum, Berlin).

In den Ausstellungsräumen des Klassizismus wird die vielfältige Verwendung der Materialien Ton, Gips und Wachs sowie deren erstaunliche veristische Wirkung ersichtlich. Da die Werkstoffe nicht nur frei modelliert, sondern auch in Formen gedrückt oder in Hohlformen gegossen werden können, eignen sich diese besonders für Körper- und Gesichtsabdrücke. Die sich bis heute fortsetzenden Traditionen in diesem Bereich werden in der Ausstellung mit Leihgaben von Werken zeitgenössischer Künstler eindrücklich aufgezeigt. Lebendig anmutende Tonarbeiten, etwa des italienischen Bildhauers Guido Mazzoni (1450– 1518), stehen dem Werk Duane Hansons (1925–1996) – in der Ausstellung vertreten mit dem aus Polyesterharz gefertigten Seated Child (1974, Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam) – oder dem aus Silikon gestaltetem Man in a Sheet (1997, Privatbesitz, Berlin) des australischen Bildhauers Ron Mueck (*1958) gegenüber. Flankiert werden diese von Wachsbüsten des 17. bis 19. Jahrhunderts, die geradezu fotografische Qualitäten zu besitzen scheinen.

Das Phänomen der täuschend echt erscheinenden Skulptur fasziniert die Betrachter seit jeher. Dies war oftmals auch die angestrebte Wirkung der Werke, die im Rahmen von Prozessionen oder – in Präsentation mit anderen Figuren – als Teil von Altären bei besonderen Festtagen zu sehen waren. Bisweilen kam den Skulpturen gar Stellvertreterfunktion zu, und sie repräsentierten den Dargestellten. Diese unterschiedlichen Rollen der heute meist aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissenen Skulpturen lassen sich kaum mehr kontextualisieren; die bewusste Inszenierung und die damit erzielten Effekte waren allerdings stets Teil ihrer ursprünglichen Intention.

Während das Bedürfnis, Figuren möglichst lebensnah erscheinen zu lassen, Künstler seit Jahrhunderten antreibt, spielten die veristische Skulptur und ihre technische Realisierung in der Kunstgeschichte bislang eher eine untergeordnete Rolle. Die entscheidend durch den Kunstbegriff der italienischen Renaissance und der darauf fußenden Ästhetik des Klassizismus beeinflusste Vorstellung der Skulptur als reine Form hat eine ihrer Wurzeln in der fälschlicherweise angenommenen weißen Marmorfigur der Antike. So wurden im 16. und 17. Jahrhundert gezielt farbige Skulpturen des Mittelalters diskreditiert. Dennoch blieb stets ein großer Teil der Bildhauerei farbig und realistisch orientiert. Die Entstehung von Wachsfigurenkabinetten und Panoptiken im 18. und 19. Jahrhundert verstärkte die Kritik an realistischen farbigen Skulpturen noch. Der bis ins 18. Jahrhundert unter Bildhauern weitverbreitete plastische Werkstoff Wachs verschwand in dieser Zeit als anerkanntes künstlerisches Medium fast vollständig. Mit dem Aufkommen zeitgenössischer hyperrealistischer Skulpturen und herausragender Bildhauer, die mit ihren realistische Form, Vielfarbigkeit und Realien verbindenden Werken erstmals wieder breitere positive Resonanz erfuhren, wird dem jahrtausendealten Phänomen auch kunsthistorisch wieder größere Aufmerksamkeit zuteil. Nicht zuletzt aus diesem Grund präsentiert diese Ausstellung eine ebenso fundierte wie einmalige Zusammenstellung veristischer Skulpturen, die mit ihrer illusionistischen Kraft und den vielfältigen Techniken einen spannenden Blick auf die Geschichte und Entwicklung der Skulptur in all ihren Facetten eröffnen.


Die große Illusion.
Veristische Skulpturen und ihre Techniken

Kurator: Dr. Stefan Roller (Leiter der Mittelaltersammlung, Liebieghaus Skulpturensammlung)
Architektur: Bach Dolder Architekten, Darmstadt

Katalog: Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog im Hirmer Verlag, herausgegeben von Stefan Roller, mit Beiträgen von Vinzenz Brinkmann, Maraike Bückling, Stefan Roller und Harald Theiss. Dt. Ausgabe, ca. 260 Seiten, ca. 240 Farbabbildungen, Museumsausgabe 34,90 Euro, Buchhandelsausgabe ca. 44,90 Euro.
Weitere Publikation: Zur Ausstellung erscheint ein Begleitheft, 7,50 Euro.
Audiotour: Durch die Ausstellung führt eine Audioguide-Tour in deutscher und englischer Sprache. Die deutschsprachige Tour spricht Schauspieler Hanns Zischler. 4 Euro.
Social Media: Das Städel Museum kommuniziert die Ausstellung in den sozialen Medien mit den Hashtags #diegrosseillusion und #liebieghaus.

Öffentliche Führung durch die Ausstellung: donnerstags 18.00 Uhr, samstags 16.00 Uhr und
sonntags 15.00 Uhr, die Teilnahmezahl ist begrenzt, Tickets sind ab zwei Stunden vor Beginn an der Kasse erhältlich, 5 Euro.
Rahmenprogramm: Höhepunkte sind u. a. Vorträge im Rahmen der Reihe „Aus erster Hand“: Donnerstag, 11. September 2014, 18.30 Uhr, Faszination Verismus. Eine Vorschau auf die Ausstellung „Die große Illusion“, Vortrag von Dr. Stefan Roller, Leiter der Mittelaltersammlung des Liebieghauses; Donnerstag, 6. November 2014, 19.00 Uhr, Dunkles Mittelalter? – Die Farbrekonstruktion einer spätgotischen Skulptur, Vortrag von Dipl.-Rest. Harald Theiss, Leiter der Abteilung Restaurierung. Die Vorträge sind im Eintrittspreis enthalten, eine Voranmeldung ist erforderlich: 069-605098-200, buchungen@liebieghaus.de.
Weitere Programmangebote unter www.liebieghaus.de.
Sonderführungen auf Anfrage: +49(0)69-605098-200, buchungen@liebieghaus.de.

Pressevorbesichtigung: Dienstag, 30. September 2014, 11.00 Uhr
Ort: Liebieghaus Skulpturensammlung, Schaumainkai 71, 60596 Frankfurt am Main
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr–So 10.00–18.00 Uhr, Do 10.00–21.00 Uhr, montags geschlossen
Sonderöffnungszeiten: Fr, 3. Oktober 2014: 10.00–18.00 Uhr; Mi, 24. Dezember 2014: geschlossen; Do, 25. Dezember 2014 und Fr, 26. Dezember 2014: 10.00–18.00 Uhr; Mi, 31. Dezember 2014: geschlossen; Do, 1. Januar 2015: 11.00–18.00 Uhr

Ausstellungsdauer: 1. Oktober 2014 bis 1. März 2015
Information: www.liebieghaus.de, info@liebieghaus.de, Telefon: +49(0)69-605098-0,
Fax: +49(0)69-605098-112
Eintritt: 9 Euro, ermäßigt 7 Euro, Familienticket 16 Euro, freier Eintritt für Kinder bis zu 12 Jahren
Kartenvorverkauf ab 1. September 2014 unter: tickets.liebieghaus.de

Gefördert durch: Kulturfonds Frankfurt RheinMain
Mit zusätzlicher Unterstützung von: Hessische Kulturstiftung
Medienpartner: Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main
Kulturpartner: hr2-kultur

Presse: Axel Braun (Leitung), Silke Janßen, Karoline Leibfried, Carolyn Meyding, Jannikhe Möller Städel Museum, Dürerstraße 2, 60596 Frankfurt, Telefon: +49(0)69-605098-234,
Fax: +49(0)69-605098-188, presse@liebieghaus.de

Diese Website verwendet Cookies. Mit dem Besuch der Seite erklären Sie sich damit einverstanden. Mehr Informationen.